The Aftermath

Ein Projekt von Sofia Faltenbacher und Lena Weis.

Wie kann Mathe dabei helfen, die Umwelt zu retten oder Hacker aufzuhalten? Eine Podiumsdiskussion mit Mathematikern abseits von Versicherungen und Banken.

In Studienführern steht, die Berufsaussichten für Mathematikerinnen seien vielseitig, doch als Beispiele werden meist nur Jobs in Banken oder Versicherungen genannt. Nicht besonders vielseitig, dachten sich meine Kommilitonin Lena Weis und ich. Was uns fehlte war der Austausch mit Menschen, die Mathe im Umweltschutz, in NGOs, als Journalist oder in der IT Security verwenden: Auf welche Teilgebiete haben sie sich spezialisiert? Wie nutzen sie ihr Mathestudium im Arbeitsalltag? Wann haben sie gewusst, in welche Richtung es gehen soll? Die Idee für die Podiumsdiskussion​ The Aftermath – was tun nach dem Mathestudium​ war geboren. Die Organisation erstreckte sich über ein ganzes Semester. Wir schauten uns verschiedene Räume an und hatten großes Glück, dass Jan Erndüß – der Leiter der Mathebibliothek – unsere Veranstaltungsidee mochte. Er sagte uns zu, ​The Aftermath​ mit dem traditionellen Semesterauftakt der Mathebibliothek zusammenzulegen. Wir hatten so nicht nur einen Raum gefunden, sondern auch Unterstützung bei der Organisation, etwa der Plakatgestaltung, und konnten uns nun auf die Auswahl unserer Gäste konzentrieren:

Alicia Hickey ​ ist Data Scientist bei der ​Deutschen Cybersicherheitsorganisation​, ein Unternehmen, das sich auf großangelegte Hackerangriffe spezialisiert hat. “Plakativ gesagt: zum Beispiel Angriffe aus Russland”, sagte sie. Sie führt Datensätze vieler Unternehmen und Institutionen zusammen, um etwa ähnliche Malware-Attacken zu vergleichen. Dafür benutzt sie die mathematischen Disziplinen Statistik und Machine Learning.

Andreas Loos​ ist Wissenschafts- und Datenjournalist bei ​Zeit Online​. Er hat mithilfe von Kombinatorik etwa die Gesprächspartner für das große Projekt “Deutschland spricht” ausgewählt. Jedem angemeldeten Teilnehmer wurde ein Nachbar zugeordnet, der eine andere politische Meinung vertritt, um ins Gespräch zu kommen.

Swantje Gährs​ Schwerpunkt am ​Institut für ökologische Wirtschaftsforschung​ ist die Energiewende. In einem ihrer sechs laufenden Projekte geht es etwa darum, dass Bürgerinnen selbst die Initiative ergreifen und in energieeffiziente Häuser leben. Sie nutzt verschiedene mathematische Fachgebiete, um etwa Simulationen zu programmieren.

Andrew Sageman-Furnas​ arbeitete ehemals bei ​Apple​ als Softwareingenieur, wo er mit Matrizen jonglierte. Obwohl die Produkte, an denen er mitarbeitete, millionenfach genutzt wurden, empfand er das schnelle Tempo in der Firma auf Dauer als anstrengend. Er zog es vor, zurück in die Wissenschaft zu gehen, und an der ​TU Berlin ​monatelang an Beweisen zu knobeln und zu lehren.

Die Frage, was genau man mit dem Mathematikstudium beruflich machen kann, hatte auch alle Podiumsgäste beschäftigt. Keiner wusste von Anfang an genau, wo es hingehen würde. Swantje Gährs erzählte, wie sie “weltfremd” in algebraischer Geometrie promovierte und ohne Praktikums- oder Arbeitserfahrung auch einige Absagen auf Bewerbungen bekam. Trotzdem zeugten alle vier Gäste davon, wie das Studium für verschiedenste Berufe qualifiziert. Das Mathestudium lehre einem, Dinge zu begreifen, oder wie Andrew Sageman-Furnas sagte: “Wer Mathe gelernt hat, kann alles lernen.”

Sageman-Furnas selbst blieb im Gegensatz zu den anderen Gästen in der Forschung. Ganz anders Alicia Hickey, die einzige der vier, die nach dem Master arbeitete und nicht mehr promovierte: “Ich bin ein pragmatischer Mensch, ich wollte Mathe anwenden”, sagte sie. Andreas Loos beantwortete die Frage, ob er noch forsche, mit einem jein: “Mein Name erscheint noch in Papern, ein großangelegtes Datenjournalismusprojekt über Straßennamen wurde etwa von vielen Soziologen und Historikern aufgegriffen. Aber es ist etwas ganz
anderes als in der Zeit, in der ich an meiner Mathematik-Doktorarbeit schrieb.”

Wir diskutierten auch das Geschlechterverhältnis unter Mathematiker*innen im Arbeitsumfeld und an der Universität. Dass an der TU nur drei von 35 Matheprofessuren von Frauen besetzt sind, wurde als Problem angeprangert, genau wie das Geschlechterverhältnis unter Entwicklern und Softwareingenieuren. Auch wenn sich die großen Fragen der Gleichstellung nicht auf einem blauen Sofa lösen lassen, war es gerade als junge Studentin schön, die Plädoyers der vier Gäste zu hören. Sie waren sich einig, dass Gleichstellung ein Thema gleichermaßen von Männern und Frauen sein muss. Und dass es vor allem eines braucht: mehr Bewusstsein für das Problem. Es waren starke Statements vor rund 250 Studierenden und vielen Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern. Am Ende gaben die Gäste den Studierenden Tipps mit auf den Weg wie:

“Promoviert nur, wenn ihr wirklich Lust habt und nicht, weil ihr euch einen besseren Job erhofft.”

“Wählt eure Uni nach den Schwerpunkten aus, die euch wirklich interessieren.”

“Erfreut euch an der kreativen, philosophischen Schönheit der Mathematik”.